Als ich heute Morgen den Pflanzen Kölle in Untermenzing betrat, hatte ich noch immer den Satz meiner mittleren Tochter Debby im Ohr. Sie hatte auf dem Balkon gestanden und wollte gerade ihr über alles geliebtes Horn runter schmeißen. „Papa“, sagte sie „ich hab‘ kein Bock mehr! Ich werde sowieso niemals so gut spielen wie Leah, und außerdem ist das total unfair, weil Klavier spielen viel einfacher ist als Horn!“
Gott sei Dank kam in dem Moment ihre beste Freundin und Debby vertagte ihre
Horn-runterschmeiß-Aktion auf morgen.
Doch zurück zum Hier und Jetzt. Da ich als Hobbygärtner quasi jeden Samstag bei Pflanzen Kölle verbringe, wusste ich genau, wo die Gartengeräte sind und machte mich sofort auf den Weg. Doch schon im Eingangsbereich fiel mir auf: irgendetwas war anders als sonst. Für einen Samstagmorgen waren ungewöhnlich wenig Leute im Laden, und ich hörte gedämpfte Musik von weiter hinten. Ich folgte den Klängen und schon bald stellte ich fest, wo alle Kunden waren. Sie standen im Halbkreis um ein Gruppe Kinder, die mit ihren Instrumenten irgendeinen Marsch spielten. Ich musste sofort an das Musizieren meiner eigenen Kinder denken und wollte mich schon, in Gedanken an deren dauernde Streiterei, genervt abwenden, da wechselte die Gruppe zu einem meiner Lieblingslieder: „Tears in Heaven“.
Also ließ ich doch Gießkanne Gießkanne sein und stellte mich zu der kleinen Menschenmenge. Von einer Frau mittleren Alters – wahrscheinlich eine der Mütter – erfuhr ich, dass ich hier die Bläserklasse des städtischen Louise-Schroeder-Gymnasiums hörte.
„Eine sechste Klasse“, sagte sie und ich musste sofort an Debby denken, die ebenfalls die sechste Klasse besuchte und mit ihrem Horn sicher gut in das Orchester gepasst hätte. Die Kinder hatten gerade ihr Stück beendet und der Lehrer ergriff das Wort. Während er so erzählte vom Alltag eines Schulorchesters, fing ich langsam an, mich zu wundern.
Wie schaffte es ein einziger Lehrer seine ganze Klasse von der Musik zu begeistern?
Wie schafften es die schätzungsweise 30 Schüler so gut miteinander zu harmonieren?
Und vor allem: wieso schafften es meine Kinder nicht?
Ich merkte, dass ich tatsächlich lange Zeit vergessen hatte, was Musik wirklich mit uns machen kann. Welche Einheit, welcher Zusammenhalt mit Musik geschaffen werden kann.
Genau wie diese Klasse hier zeigte, war doch jedes einzelne Instrument des Orchesters wichtig für ein Zusammenspiel; keines besser oder schlechter. Ich seufzte tief. Wenn ich diese Einsicht nur an meine Kinder weitergeben könnte. Aber spätestens seit mein Jüngster angefangen hat, Trompete zu spielen und Leah, meine ältere Tochter bei „Jugend musiziert“ gewonnen hat, ist der Streit vorprogrammiert.
Dabei müssten sie einfach nur verstehen, dass Notenlesen nicht alles in der Musik ist! Aber wie sollten sie das auch begreifen, wenn jeder nur einzeln für sich übt?! Wehmütig hörte ich auch noch die letzten zwei Stücke der Bläserklasse an. Diese Kinder hatten es gut; sie spielen alle zusammen in einem Orchester und erfahren dadurch, dass Musik ein Gemeinschaftserlebnis ist.
Gemeinschaftserlebnis, irgendetwas störte mich an diesem simplen Wort.
Eine Gemeinschaft, wie dieses Orchester.
Gemeinschaft kann aber doch auch aus nur drei Leuten bestehen, oder?
Und da war sie! Die Idee nach der ich unbewusst schon die ganze Zeit gesucht hatte!
Ich würde einfach meine eigene kleine Gemeinschaft bilden! Wenn dieser Lehrer das mit 30 Schülern schaffte, konnte ich das mit meinen Kindern auch, wäre doch gelacht.
Ganz beflügelt von meiner Idee des kleinen Familien – Orchesters ging ich fröhlich pfeifend meine Einkäufe erledigen, bevor ich zu einem Musikladen in der Nähe fuhr, um Noten für kleine Ensembles zu kaufen.
